aeternea
ein interreligiöses Requiem über Ewigkeit für alle Menschen
nach Brahms‘ Requiem
aeterneA ist eine kompositorische Neudeutung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms.
Vor über 150 Jahren uraufgeführt, brachte Brahms darin seine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens, dem Verlust und schließlich Trost zum Ausdruck. Dabei greift er einerseits auf eine weit in die Vergangenheit zurückliegende Vorstellung von Ewigkeit zurück:
Dass die Vergänglichkeit des Diesseitigen in etwas ewig Bleibendes überführt wird. Und gleichzeitig wollte er berührend den Hinterbliebenen Trost spenden –
seine persönliche Religionsperspektive mit ausgewählten biblischen Texten.
Clara Schumann beschrieb Brahms‘ Werk als „wahrhaft menschlich“, also alle Menschen betreffend.
Wie kann ein „deutsches Requiem“ in einer so vielfältigen, mehrdimensionalen Gesellschaft klingen? Ausgehend von Brahms’ Komposition wird klanglich und interreligiös weitergedacht und neu gedeutet, vor vielfältig kulturellen Horizonten und interreligiöser Friedenssehnsucht durch künstlerisch-interreligiöse Reflexionen aus islamischen Sufismus, westafrikanisch-synkretischen Musiktraditionen und jüdisch-hebräischen Impulsen.
aeterneA reflektiert Vergänglichkeit, Verlust und Trost aus vergangenen wie gegenwärtigen Perspektiven und möchte Raum für ein Miteinander in Vielfalt öffnen.
Komposition • Ilgın Ülkü. Udi Perlman. Yudania Gómez Heredia. Ehsan Ebrahimi. Maximilian Guth (nach Johannes Brahms)
Konzeption. Instrumentierung • Maximilian Guth
polyLens vokal
asambura ensemble
Dirigat • Joss Reinicke
Uraufführung • 2024 in Lüneburg
Udi Perlman beleuchtet klanglich und biografisch die Bezüge zu jüdischen Traditionen, ausgehend von den zugrunde liegenden, meist alttestamentarischen Texte, die teils auch auf Hebräisch erklingen werden. Ein wiederkehrendes Thema in Brahms‘ Werk ist das Konzept der Vergänglichkeit. In der jüdischen Tradition können Rituale als Mittel betrachtet werden, um mit der vergänglichen Natur des Lebens umzugehen. Diese Rituale spielen eine entscheidende Rolle beim Widerstand gegen die Vergänglichkeit in der Existenz. So werden Motive aus der Brahmsvorlage fragmentarisiert und durchweben scheinbar ewig die Klanglichkeit, in polaren Dimensionen zwischen aeternae und perpetua als Dimensionen von Ewigkeit, zwischen zeitloser Ruhe und einer nie aufhörenden Bewegung. Ebenso ist die mehrstimmige Resonanz von Glockenklängen Inspiration für einen Interreligiösen Brückenschlag.
Yudania Gómez Heredia lotet Verbindungen mit ihrer eigenen Yoruba- und afrokubanischen Tradition aus: Die Yoruba-Religion, die ihren Ursprung in verschiedenen westafrikanischen Regionen wie Teilen Nigerias und Benins hat, wurde durch den Sklavenhandel nach Amerika exportiert und bildet den Ursprung für einer Reihe von Traditionen der lange Zeit Unterdrückten, die bis heute in verschiedenen Gebieten Amerikas praktiziert werden, darunter Brasilien, Trinidad und Tobago und Kuba. Diese Traditionen, meist durch polyrhythmische Strukturen geprägt, enthalten verschiedene Formen der Synkretisierung, bei denen eine traditionelle westafrikanischen Glaubensvorstellungen mit christlichen Elementen verschmolzen wurden. Diese Verbindung führte zur Entstehung der „Santería“, einer Praxis, die nicht nur spirituelle Rituale umfasst, sondern ein Zusammenwirken von Klang, Trance, Gesellschaftsereignis und Kontakt zu verschiedenen kleinen Gottheiten, die über das Leben der Menschen mitentscheiden und permanent mit ihnen interagieren.
Ilgın Ülküs‘ Kompositionen verbinden Brahms mit der vom islamischen Sufismus inspirierten menschlichen Lebensreise von der Geburt bis zum Tod. Die Musik fängt die Wahrnehmungen dieses Lebensweges ein, beginnend mit der unbewussten Neugierde bei der Geburt bis hin zur Bekanntheit im Angesicht des Todes. Durch melodische Maqamfragmente und Textpassagen aus dem Requiem entsteht ein atmosphärischer Klangteppich, der sich allmählich zu zirkulären rhythmischen Pattern entwickelt. Textfragmente islamischer Gebetstraditionen werden dabei auf übereinanderlagernden Tonhöhen rezitiert, die zu einem mehrsprachigen Stimmenwirrwarr führen. Zudem collagiert die Klangschaft traditionelle Tasawwuf-Musik in Ney, Santur und Oud.
Maximilian Guth instrumentierte Brahms’ Requiem für eine kammermusikalische, farbenreiche wie charakteristische asambura Klangfärbung neu und lässt gemeinsam mit Ehsan Ebrahimi mehrdimensionale Klangkosmen entstehen und möchte Raum für ein Miteinander in Vielfalt öffnen. Die mehrstimmige Resonanz von obertonreichen glockenartigen Impulsklängen, mehrdimensionalen, vom jüdischen Gebet inspirierten mehrstimmigen Rezitationen in verschiedenen Geschwindigkeiten und islamischen Traditionen nachempfundene vibrierende Schwebungen werden Metaphern für interreligiöse Brückenschläge.
► Programmheft
► weiterführende Gedanken:
komponieren als neu beleuchten
EIN INTERRELIGIÖSES REQUIEM ÜBER EWIGKEIT FÜR ALLE MENSCHEN NACH BRAHMS’ REQUIEM.
Was Maximilian Guth hier zusammen mit dem asambura ensemble und all den mitwirkenden Musiker:innen verdichtet hat, war groß, ganz groß.
Und wenn Musik das leistet, und wenn wir dadurch einen Begriff von interreligiöser Mitmenschlichkeit erfahren, dann ist etwas gelungen, dass in diesen Tagen von allergrößter Bedeutsamkeit ist.
Musik für die Welt, in diesen unfassbaren Tagen; als notwendige Gegenkraft, als Kraft, die Mut und Frieden stiftet — das hat das Konzert geschafft.“
Amadeus Templeton. Geschäftsführung TONALI
„Das Oratorium „aeterneA“ inszeniert eine spannende Neubegegnung mit dem Deutschen Requiem. Es verzahnt das Original mit hinzukomponierten Stücken, die an Brahms andocken, aber auch eigene Wege gehen, etwa indem sie Einflüsse aus der jüdischen, der türkischen oder afrokubanischen Tradition einweben. „aeterneA“ öffnet und erweitert den Resonanzraum der Musik, auch durch Instrumentalfarben der außereuropäischen Kultur – und nimmt damit Brahms beim Wort, der die Botschaft seines Requiems ausdrücklich nicht auf das „Deutsch“ beschränkt wissen wollte, sondern stattdessen lieber den Titel „Menschen“-Requiem gesetzt hätte.“
Marcus Stäbler. Musik- und Kulturjournalist
„Wie dankbar wir dafür sein können, zeigt die Neuinterpretation des asambura Ensembles. Was bedeutet Mensch sein heute? Wie klingt eine Musik, die heute wahrhaftig „menschlich“ sein, die wirklich alle aktiv einschließen will – und sich dabei über die Unerreichbarkeit dieses Ziels durchaus bewusst ist? Wie klingt Verbundenheit, wie klingt Solidarität? Wie klingen Diversität, Respekt,
Selbstreflexion, wie klingt Transkulturalität, wie Transreligiosität, Transnationalität? Dieser Ansatz denkt das Potenzial dieses Requiems konsequent weiter: Brahms‘ gewählte Idee einer Ewigkeit, in der „wir … alle verwandelt werden … und die Toten verwandelt werden“, will ja nicht nur dem Tod seinen Schrecken nehmen, sondern zunächst daran erinnern, dass eigentlich keine Herrschaft und keine daraus resultierende Ungleichheit unter Menschen existieren kann und darf. „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen“, heißt es, ergo – fragil. „Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen.“
Hannah Schmidt. Musikjournalistin
artwork • Boushra Moustafa